Objektive aus Ulm?

Ja, das gab es in der Tat einmal. Die Firma Schacht, oder genauer „A.Schacht“, die zunächst in München gegründet wurde, zog 1954 nach Ulm. Seitdem tragen Objektive aus dieser Schmiede die Bezeichnung „A.Schacht Ulm“. Immer noch eher ein Geheimtipp, reicht ihr Mythos bei weitem nicht an klingende deutsche Namen wie „Leica“ oder „Zeiss“ heran, doch Fotofans, die sich mit „vitage lenses“ beschäftigen – oft auch liebevoll „Altglas“ genannt – haben (wieder)erkannt, dass Schacht-Objektive in der Regel besser sind als Fotoobjektive von Enna oder Isco, zwei andere Altglas-Marken aus Deutschland. So langsam setzt sich diese Erkenntnis auch international durch, so dass in Japan bisweilen hohe Preise für „A.Schacht“ bezahlt werden.

Hier möchte ich ein Schacht-Objektiv kurz vorstellen. Mal wieder ein „Altglas“-Posting.

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Quelle: https://photobutmore.de/exakta/schacht/

Es handelt sich um ein A.Schacht Travenar 1:2.8/90 R mit M42-Schraubanschluss und einer sehr einfachen Vergütung (dazu später mehr).
Das vierlinsige Portrait-Teleobjektiv stammt in dieser „Zebra / Berg&Tal-Version“ aus dem Ende der 1950er und ist vermutlich eine Weiterentwicklung des Bertele-Ernostar-Prinzips.

Die meisten Altglas-Fans würden es als wirklich schönes Objektiv bezeichnen. Was in jedem Fall beeindruckt, sind die kleinen mechanischen Effekte, die es bereit hält. Zum einen ist der Funktionsmodus der Blende (A oder M) durch einen kleinen Schieber umschaltbar, den Modus-Buchstaben sieht man dabei durch ein kleines Fenster. Noch faszinierender ist die Anzeige für den Schärfentiefebereich, der in einem kleinen Fenster durch einen roten und weißen Bereich dargestellt wird, welcher sich durch Drehen des Blendenringes ändert. Ein wunderschönes Detail, dass offenbart, mit wie viel Hingabe die Entwickler am Werk waren.

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Abgeblendet auf f/16 ist der Schärfentiefebereich sehr groß.

 

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Aufgeblendet auf f/4 deutlich knapper. Rechts ist die Modus-Anzeige zu sehen.

Das Travenar 90 wurde meist mit EXA-Anschuss gebaut, es gab aber – außer der hier gezeigten sehr leicht zu adaptierbaren M42-Version – auch Edixa-Modelle.
Der Neupreis des 90ers lag Ende der 1950er bei beachtlichen 210,- DM. Bei einem damaligen monatlichen Durchschnittseinkommen von ca. 440,- DM ein hoher Preis. Das entspricht ungefähr einem heutigen Preis von 1600,- €!

Doch kommen wir zu den Bildern. Wie schlägt sich denn das Travenar an einer modernen Digitalkamera? Auf ein Wort zusammengefasst würde ich es als „Charakterlinse“ bezeichnen. Ich bin damit ein wenig durch Bad Vilbel spaziert, rund um die Wasserburg sozusagen.

Richtig eingesetzt zeigt es, was es kann:

  • Es ist so gut wie kein Randverlust zu erkennen und Eckvignettierung gibt es auch keine.
  • Die Schärfe ist absolut ausreichend – vor allem für ein Portrait-Objektiv.
  • Eine Verzeichnung ist ebenfalls nicht zu erkennen.

Das Bokeh ist relativ weich, denn der Hintergrund gleichmäßig ist, kann aber bei Blatt- und Astwerk deutlich wirrer und harscher werden. Die Bokeh-Highlights zeigen eine leichte Tendenz zum Swirl, werden mit deutlichem Rand und zu den Außenbereichen hin zunehmend katzenaugenförmig dargestellt. Was das Bokeh angeht, hat es nicht meinen Lieblingscharakter. Aber viele Altglas-Fans suchen genau so etwas!

Woran das Travenar allerdings leidet ist eine starke Gegenlichtampfindlichkeit. Man sollte möglichst vermeiden, die Sonne ins Objektiv scheinen zu lassen und unbedingt eine passende Streulichtblende verwenden. Ansonsten sind Flares und vor allem Schleier vorprogrammiert. Ein deutlichen Anzeichen für eine unzureichende Vergütung.

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Das Bild ist flau und zeigt Schleier, die durch die schräg von vorne einscheinende Sonne verursacht wurden.

Alles in allem ist das Travenar ein wunderschönes und mit begeisternden Details ausgestattetes kurzes Tele-Objektiv, mit dem man Portraits mit besonderem Flair zaubern kann. Man sollte nur daran denken, die „Sonne im Rücken“ zu behalten. 😉