Dogmatismus – und warum er mir zuwider ist

Ein Chat-Gespräch eben mit einem sehr, sehr guten Freund hat mich, mal wieder, auf den Gedanken gebracht: Ich finde jegliche Art von Dogmatismus unerträglich. Gott sei Dank sind meine Freunde keine Dogmatiker. Wahrscheinlich sind sie daher auch meine Freunde. 😉
Dogmatismus, so wie ich ihn meine, gehört in die Gruppe „Extremismus“, „Fanatismus“ und „Besessenheit“. Es wird von einem in dieser Lesart dogmatischen Menschen keinerlei Toleranz gegenüber Andersdenkenden, gegenüber anderen Meinung ausgeübt – ganz gleich, wie gut die Argumente auch sein mögen, mit denen man diese Meinung unterstützt.

Solch ein Dogmatismus findet sich auch im Bereich der Fotografie und vor allem in Foto-Foren im Internet. Als Beispiel möchte ich hier die leidige Diskussion um das sogenannte „Vollformat“ anführen. Nicht nur, dass ich den Begriff schon unpassend finde – was ist denn an diesem Format „voll“? – meines Erachtens sollte man von „digitalem Kleinbild“ reden, um den Bezug zum analogen 36x24mm Film deutlich zu machen – nein, die Hitzigkeit, mit der um das Vollformat in Foren gestritten wird, lässt mich oft kopfschüttelnd und an der Vernunft einzelner zweifelnd vor dem Rechner sitzen.

Zum Glück gibt es viele Hobby- und Profi-Fotografen, die – tolerant gegenüber anderen – Argumente für und gegen Kleinbild- bzw. APS- oder gar µ4/3-Sensoren gelten lassen. Wie schrieb mein Freund in unserem Chat?

Dass man gute – sehr gute – Bilder machen kann ohne Vollformat, das wissen wir beide!

Recht hat er. Natürlich, mag jetzt der geneigte Leser an dieser Stelle denken.
Und dennoch ist es erstaunlich, wie häufig man auf Foren-User trifft, die mit Vehemenz für ein, für „ihr“ Bildformat streiten.

Lassen Sie uns doch einmal die Vor- und Nachteile des „Vollformates“ (ich mag diesen Begriff echt nicht) auflisten, zumindest die meistgenannten…

Pro 1: Objektive behalten ihre eigentliche Bildwirkung. Ein 50mm-Objektiv wirkt wie ein 50mm-Objektiv an einer analogen Kleinbild-Kamera.

Pro 2: Es sind sehr gute Weitwinkel-Objektive erhältlich. (Aufgrund von Pro 1.)

Pro 3: Der PixelPitch, also der Abstand von Pixelmitte zu Pixelmitte, ist bei Kleinbildsensoren größer. Das ist einer der Gründe, warum sie weniger Bildrauschen zeigen.

Pro 4: Ein größeres Aufnahmeformat ermöglich in der Praxis eine stärkere Freistellung. (Das ist ein hochkomplexes Thema. Belassen wir es bei dieser vereinfachten aber korrekten Aussage.)

Contra 1: KB-Sensoren sind größer und in der Produktion teurer, daher ist auch eine Kamera mit einem solchen Sensor deutlich teurer als eine mit APS-Sensor.

Contra 2: KB-Sensoren nutzen den Bildkreis eines KB-Objektivs bis an die Grenzen aus, so dass Schwächen in den Ecken (Unschärfe, Vignettierung usw.) deutlicher hervortreten als bei kleineren Sensoren.

Contra 3: Objektive, die für Kleinbildformate gerechnet wurden, sind größer, schwerer und teurer als APS-Objektive.

Contra 4: KB-Kameras sind in der Regel größer und schwerer.

Nun möchte ich auf die einzelnen Argumente kontern…

Ad Pro 1: Korrekt. Doch warum ist das überhaupt wichtig? Man sieht doch im Sucher, was man aufnimmt und hat sich sehr schnell umgewöhnt. Außerdem gibt es reichlich Objektive, die klassische Bildwinkel auch auf APS-Sensoren abbilden. Dieses Pro-Argument hat demnach eher nostalgische Bedeutung.

Ad Pro 2: Stimmt. Allerdings gibt es auch sehr gute, sogar extreme Weitwinkel-Objektive für kleinere Sensoren. Bis zu 8-16 (12-24 KB) für APS oder 7-14 (14-28 KB) für µ4/3.

Ad Pro 3: Prinzipiell auch richtig. Die Weiterentwicklung von kleineren Sensoren ist in den letzten Jahren allerdings derart fortgeschritten, dass man auch mit APS-Sensoren (vgl. Fuji) oder µ4/3 (vgl. Olympus) exzellente Ergebnisse bei hohen ISO-Werten liefern. Muss man wirklich mit ISO 25600 oder mehr fotografieren?

Ad Pro 4: Ja, es lässt sich aber in der Praxis eine Freistellung auch verstärken, indem man eine stärker geöffnete Blende benutzt und wenn man in Extrembereiche (f/1.2) vordringt, dann muss man sich die Frage stellen, ob eine derart starke Freistellung überhaupt sinnvoll ist. Ich selbst finde es nicht so überzeugend, wenn das linke Auge scharf und das rechte Auge schon unscharf ist.

Ad Contra 1: Der Preis ist nicht primär von Bedeutung für die Qualität der Bildergebnisse. Will heißen, ob ein Bild gut oder schlecht ist, hängt nicht nur vom Preis des Equipments ab. Es ist demnach eine rein persönliche Entscheidung, wie viel Geld man für eine Kamera ausgeben kann oder mag. Von daher darf dies nicht als Gegenargument verwendet werden.

Ad Contra 2: Dies gilt vor allem für leistungsschwächere Objektive. Sehr gute Objektive zeigen auch in den Bildecken eines Vollformat-Bildes keine gravierenden Schwächen.

Ad Contra 3: Das ist in der Regel korrekt, ist aber ebenso eine persönliche Vorliebe wie der Preis. Jeder sollte für sich entscheiden, wie groß und wie schwer seine Ausrüstung sein darf. Es gibt keine objektiv festlegbaren Grenzwerte.

Ad Contra 4: Die neue Sony A7 hat dieses Argument so ziemlich ad absurdum geführt.

Solche eine Debatte ließe sich beinahe endlos fortführen.

Und nun? Was soll das Ganze? Na ja, ich wollte aufzeigen, dass es für jedes Format Pro- und Contra-Argumente gibt und dass jedes dieser Argumente leicht gekontert werden kann. Welchen Sinn macht es also, sich dogmatisch für das eine oder andere Sensorformat einzusetzen und diejenigen, die anders denken, für weniger reflektiert (einmal nett formuliert) zu halten? Nur die eigenen Argumente zählen zu lassen, zeugt lediglich von Intoleranz und Engstirnigkeit. Und dies ist in einer Gemeinschaft immer unangenehm.

In diesem Sinne. Habt Spaß an eurer Ausrüstung und respektiert die Überzeugung der anderen.

 

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7 Gedanken zu “Dogmatismus – und warum er mir zuwider ist

  1. Volle Zustimmung. Ich hätte das selbst nur wenig anders geschrieben. Es gibt übrigens den Eindruck, den ich selbst auch gewonnen habe, dass beispielsweise MFT-Objektive schon bei Offenblende praktisch maximale Schärfe und Kontrast hergeben, was bei den KB-Nikons in bis in die obere Mittelklasse hinein kaum der Fall ist, weshalb viele Fotografen generell etwas abblenden (meine Erfahrung bezieht sich auf Nikon und mit den wirklich teuren Objektiven – Festbrennweiten ab 1.000 – habe ich zu wenig gearbeitet) – das relativiert die Sache mit den schlechteren Freistellungseigenschaften. Bezüglich A7 muss ich allerdings ein bisschen Widersprechen. Das Problem sind ja nicht die Bodys, sondern die Objektive, und die werden bei KB tatsächlich nie so klein werden können, wie beispielsweise bei MFT. Ein kleiner Body und große schwere Objektive ist in meinen Augen ein praktischer Widerspruch. Auch hier gilt die richtige Antwort auf alle Fragen: Es kommt drauf an. Große Bodys liegen für ausgedehnte Shootings besser in der Hand und Knöpfe können gut ausgeprägt, ausreichend auseinander und ergonomisch platziert werden. Bei kleinen Body ist das nicht in dem Ausmaß möglich. Dafür nimmt man sie lieber mit (wenn auch die Objektive klein sind). Für beides, Sensorgröße wie Body, gilt: Es ist nicht besser oder schlechter sondern schlicht anders.

    1. Hui, Markus, besten Dank für den ausführlichen Kommentar!
      Schön, dass du hier auch die Perspektive des Studio-Fotografen erwähnst. Ich bin ja eher der herumlaufende Typ. 😉
      Was die A7 angeht, so sind natürlich – und da gebe ich dir recht – die Objektive eben so groß, wie KB-Objektive sein müssen, dennoch bleibt das Set kleiner als beispielsweise eine D800. 😉
      Deine Antwort zeigt aber deutlich, wie angenehm es ist, wenn jemand eben nicht dogmatisch ist, sondern das Für und Wider diverser Systeme sieht. Danke dafür!

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