Das neue Meyer Lydith… Eindrücke, Teil 2

Das Foto zeigt das Meyer Lydith mit Nikon-Bajonett und einem Nikon-auf-Leica-M- sowie einem Leica-M-auf-Leica-L-Adapter. In Ermangelung eines Nikon-auf-L-Adapters musste ich auf Adapter-Stacking zurückgreifen. Doch das funktioniert sehr gut.

Geschichte

Das neue Lydith 3.5/30 von Meyer Optik Görlitz hat eine lange Tradition und mehrere Reinkarnationen hinter sich. Angefangen hat meines Wissens nach seine Geschichte Anfang der 1950ern mit dem „Helioplan 4.5/40“, einem Versuch, ein fünflinsiges, leistungsstarkes Objektiv zu konstruieren, das mehr Weitwinkel als ein Normalobjektiv bot. Mit 40mm Brennweite war das natürlich nicht so ergiebig, so dass man bereits Mitte der 50er das „Primagon 4.5/35“ mit 4 Linsen nachlegte. 35mm sind die klassische Weitwinkelbrennweite fürs Kleinbild der Nachkriegszeit, viel weitwinkliger wurde es kaum. Heute werden 35mm kaum mehr als weitwinklig angesehen. Erst Anfang der 60er Jahre folgte dann mit dem ersten „Lydith 3.5/30“ ein Objektiv, das wir auch heute noch als „Weitwinkel“ bezeichnen würden. Das Lydith war wieder ein 5-Linser und bot zudem noch die höhere Lichtstärke von f/3.5. Das klingt für heutige Ohren nicht besonders lichtstark, doch der spezielle Abbildungscharakter des Lydiths – die Konzentration auf die Bildmitte und ein natürlicher Abfall der Bildschärfe zum Rand hin, sowie ein sehr eigener Übergang aus dem Schärfebereich – machte eine Freistellung leichter möglich als es von einem 3.5/30 zu erwarten ist. Ab Anfang der 1970er wurde dann nach einer Überführung von Meyer-Optik in das Kombinat Pentacon in der ehemaligen DDR aus dem Lydith das annähernd baugleiche „Pentacon 3.5/30“ – eine gewisse Auszeichnung für das Objektiv, denn es wurden nur die Designs übernommen, von denen man sich auch etwas versprach.

Vor einigen Jahren hatten einige Menschen bei NetSE die Idee, die alten Meyer-Rechnungen wiederauferstehen zu lassen. Die Objektive waren bereits hochspannend und zum Teil überaus gut. (Ich besitze noch ein faszinierendes Primoplan 75 aus dieser „Koblenzer Ära“.) Leider wurden die Objektive zu zwar durch die Manufaktur bedingten aber dennoch sehr hohen Preisen verkauft, die sich im Markt nicht wirklich behaupten konnten.
Kürzlich hat dann OPC Optical Precision Components Europe GmbH die Nachfolge angetreten und scheint etwas anders zu kalkulieren. Die neuesten Meyers sind keine Schnäppchen (wie einige der TTArtisan oder 7artisans Objektive), doch sie sind deutlich günstiger als die Modelle der ersten Reinkarnation – aber weder minderwertiger verarbeitet noch schlechter in der Leistung … definitiv nicht!

Haptik und Aussehen

Ob einem ein Objektiv gefällt oder nicht, ist in höchstem Maße subjektiv. Dem einen gefallen sehr modern designte Objektive oder vor allem welche, die nach vorne hin etwas breiter werden; dem anderen welche, die sich nach vorne verjüngen oder gar chrom-silbrige Exemplare. Für mich sieht das Lydith, so wie alle neuen Meyer-Objektive, sehr gut aus. (Übrigens, mir gefallen auch die meisten klassischen Meyers gut.)
Was die Haptik betrifft, so spielen die neuen Versionen in der Top-Liga. So auch das Lydith. Es ist sehr sauber verarbeitet, sowohl der Fokus- als auch der Blendenring drehen sich samtig und mit genau dem richtigen Widerstand. Bezüglich des „Anfassgefühls“ lässt sich keinerlei Unterschied beispielsweise zu Objektiven von Zeiss feststellen. Man nimmt solch ein Objektiv einfach gerne in die Hand und hat Zutrauen, wenn es an der Kamera ist.

Internes

Die inneren Elemente sind hochwertig vergütet – was den entscheidenden Unterschied zur klassischen Version darstellt und was durch eine deutlich niedrigere Neigung zur Abzeichnungen und Schleier bewirkt.
Eine Besonderheit – auch bei den modernen Meyer-Exemplaren – ist die Blende, oder genauer: die Art der Blendenöffnung. Ich habe nicht genau gezählt, doch die Blende öffnet fast kreisrund durch eine hohe Anzahl an Aperturlamellen. Solch eine Form sorgt dafür, dass Lichter im Unschärfebereich („Bokeh-Highlights“) kreisförmig und nicht eckig dargestellt werden. Auf das Bokeh an sich hat das hingegen nur sekundären Einfluss. Ob ein Bokeh als „wild“ oder „cremig“ dargestellt wird, hängt vielmehr an der Art der Korrektur und am Design des optischen Systems. (Sonst hätte ja jedes Objektiv bei Offenblende – die ja immer rund ist – ein weiches, unaufgeregtes Bokeh.)
Das Bokeh des Lydith ist nicht cremig (wie beispielsweise einige Portraitobjektive das zeigen) im eigentlichen Sinne, aber auch nicht so sehr „speziell“ wie etwa beim Trioplan 100 – zum Glück möchte ich ergänzen. Das Lydith zeit ein sehr charakteristisches Bokeh, beinahe wiedererkennbar, könnte man meinen.

Leistung und Abbildungscharakter

Das Lydith ist kein modernes Hochleistungs-Weitwinkel-Objektiv, das von Ecke zu Ecke bereits offenblendig scharf ist. Wer so etwas sucht, ist hier falsch und muss sich an modernen Rechnungen orientieren.

Wer sich für ein Lydith interessiert, sucht ein Objektiv, das einen „Vintage“-Look mit einem relativ weitem Bildwinkel verbindet und zudem noch einen ganz besonderen Übergang vom Schärfe- zum Unschärfebereich bietet. „Vintage“-Look fragen Sie? Nun, einige würde darin wohl eine Ansammlung an kleineren Bildfehlern erkennen, die in modernen AF-Objektiven durch komplexe optische Rechnungen mit zahlreichen internen Elementen weitgehend beseitigt wurden. Andere sehen darin aber genau das, was das klinisch Sterile, das Austauschbare in modernen Objektiven durch eine Eigenständigkeit und eben einen „Charakter“ ersetzt. Etwas, das – wenn richtig angewendet – auf Fotos zu einem Wow-Effekt führt, der per Nachbearbeitung nur sehr schwer oder gar nicht erreichbar ist.

Für mich persönlich ist zudem das Fotografieren mit solchen Charakter-Objektiven oft – sofern man nicht schnell und wiederholbar zuverlässig zu Ergebnissen kommen muss – spannender, da man mehr an Zeit und Gedanken investieren muss, dann aber mit einem höheren Gefühl der Zufriedenheit belohnt wird – es ist neudeutsch überaus „rewarding“.

In den nächsten Teilen dieser Reihe werde ich weitere Fotos zeigen, die mit dem Lydith gemacht wurden und das Lydith anderen Meyers gegenüberstellen.