Hmmm….
Die English Literary Gazette schrieb im Januar 1839 (ja, das ist eine „18“ vorne!) folgende Erläuterung zur „Daguerréotype“:
Daguerre has discovered a method to fix the images which are represented at the back of a camera obscura; so that these images are not the temporary reflection of the object, but their fixed and durable impress, which may be removed from the presence of those objects like a picture or an engraving.In der Kernaussage wird also festgestellt, dass durch die Fotografie ein (Ab)Bild festgehalten wird. Der von Herschel geprägte und heute gebräuchliche Begriff „Photographie“ unterstreicht dies: es wird mit Licht geschrieben. Ein projiziertes Abbild der Realität verwischt nicht, sondern wird konserviert und damit mobil. Man kann es mitnehmen und anderen zeigen. Dies war stets ein wichtiger Aspekt der Fotografie: Reporter konnten den Menschen Geschehnisse authentisch zeigen, die diese sonst nie hätten sehen können; Reisende zeigten den Zuhausegebliebenen „Ich war dort!“. Ein Foto besaß aber immer auch das Element des Aufhebens, des Archivierens für die Zukunft. Und genau dies, muss man heute feststellen, hat sich mit der digitalen Fotografie geändert.
Gezeigt werden Fotos noch immer. Foren und „social Websites“ bersten beinahe ob der Masse an Fotos, die dort „hochgeladen“ werden. Doch zum Zeigen gehört immer auch das Anschauen, damit es ein kompletter Prozess wird – ein Gedanke, der große Ähnlichkeit mit der rezeptionsästhetischen Interpretation literarischer Werke hat. Schauen die Menschen heute denn Fotos noch wirklich an? Ist ein zweisekündiges Draufkucken tatsächlich ein echtes Betrachten?
Und was ist in 10 Jahren? Werden wir auch dann noch die Fotos von heute ansehen und uns an Erlebnisse erinnern? Wie lange werden wir in der Lage sein, die Fotos, die wir heute machen, überhaupt anschauen zu können?
Ich habe – zwar keine Fotos – aber Dokumente auf ZIP100-Medien – die „älteren“ PC-Nutzer werden sich erinnern. Ob ich heute noch in der Läge wäre, an diese Dateien heranzukommen? Jedenfalls nicht einfach so.
Bilder meiner Kinder aus den Jahren 2006 oder 2007 habe ich selbstverständlich parallel auf mehreren Medien gesichert. Doch schaue ich diese Fotos ebenso häufig an, wie ich es mit Prints in Alben machen würde? Ich bezweifle das.
Es stellte sich mir, als ich das obige Zitat las, die Frage, ob sich die Fotografie womöglich von diesem Grundelement entfernt hat. Werden Fotos wieder zur „temporalen Reflektion des Objektes“ weil sie kurze Zeit nach deren Aufnahme nicht mehr angesehen werden, womöglich auch wegen der ihnen eigenen Beliebigkeit heute moderner Sujets? Für einen Teil der Fotos von heute gilt das gewiss. Es mag ja witzig sein, zu sehen, dass der Freund gerade seinen Feierabend in einem netten Biergarten genießt, doch wen interessiert das morgen? Instagram-Fotos mit der Haltbarkeit von Tageszeitungen. Dies entzieht dem Medium Fotografie eine ihm grundeigenen Besonderheit.
Vielleicht sollte ich die schönsten Fotos der letzten Jahre einmal heraussuchen, drucken lassen und in ein Album kleben. Mal sehen, wann ich mal fünf oder sechs Tage am Stück Zeit dazu habe. 😉
Vielleicht betrachtet man die Fotos nicht mehr so häufig. Und ja, im Vergleich zu früher werden zigfach mehr Fotos produziert, deren inhaltlicher Wert, wie Du so schön mit dem Biergartenfoto dargestellt hast, überschaubar ist. Solche Fotos dienen dazu, mal einen kurzen Status abzusetzen. Anstatt eines Textes.
Aber es gibt sie noch, die Fotos die wichtig sind. Die man auch in Zukunft wieder betrachten wird. nämlich dann, wenn man anderen Menschen aus seiner eigenen Vergangenheit erzählt. Menschen an seinen Erlebnissen teilhaben lassen möchte. Jüngst saß ich mit meiner besseren Hälfte auf dem Sofa und haben die Fotoalben aus meiner Kindheit und Jugend angeschaut. Und für die jüngere Vergangenheit war es kein Album, sondern das iPad um die Bilder meiner Amerikatrips anzuschauen.
Das Fotoalbum hat seine Form verändert, aber es gibt es noch. Und ich glaube, es wird es noch sehr lange geben.
🙂
Lass uns hoffen, dass du Recht behältst, Christian.